Quo Vadis? – Verkehrspolitik in Hammelburg

Zu viele, zu schmale, zu unübersichtliche Engstellen und im Halteverbot stehende Autos schaffen Gefahren für Radverkehr und Fußgängerinnen und Fußgänger

Die Straße selbst ist mit mehr als 5 Metern breit genug für gegenläufigen Radverkehr

Eine von zwei vorgeschlagenen ÖPNV-Verbindungen zwischen Fuchstadt und Hammelburg

Eine von der Stadt per Pressemitteilung vorgeschlagene, vermeintlich sicherere Alternative

Auf den Alternativrouten lauern viele Gefahrenstellen

Nach einigen Wochen intensiver Diskussionen über die Verkehrspolitik in Hammelburg, möchte ich hier meine Sicht darauf noch mal ausführlich darlegen. Einige Teile habe ich in zum Teil anderen Zusammenhang gesagt, oder geschrieben.

Die Ausgangslage

Hammelburg ist ein Mittelzentrum im ländlich geprägten nördlichen Unterfranken, einer Region in der Mobilität zum größten Teil durch Kraftfahrzeuge, vor allem Autos, umgesetzt wird. So hat die Saale-Zeitung Anfang 2021 [1] auf die 103 161 Menschen – inklusive Baby, Kleinkinder und anderen Menschen ohne Führerschein - im Landkreis 111 950 Fahrzeuge ermittelt.
Der Kreistag hat sich vorgenommen den Nahverkehr massiv auszubauen. Aktuell sind jedoch die Möglichkeiten, selbst aus größeren Gemeinden wie Fuchsstadt in das nahegelegene Mittelzentrum Hammelburg zu kommen rar. Die vom Landkreis beworbene Nahverkehrs-App „Wohin Du willst“ weist für einen Dienstag, also einem klassischen Werktag, zwischen 7:17 Uhr (Fahrzeit 38 Minuten) 13:15 Uhr (Fahrzeit 4 Stunden 5 Minuten über Arnstein und Schweinfurt) genau zwei Verbindungen aus.

Die Kernstadt Hammelburg hat etwas mehr als 6000 Einwohnerinnen und Einwohner. [2] Diese profitieren in vielen Bereichen von der Zentrumsrolle der ehemaligen Kreisstadt. Einkaufszentren, Einzelhandel, Apotheken, Arztpraxen, ein Krankenhaus und öffentliche Infrastruktur wie die Stadtbücherei, ein Schwimmbad, das Museum und Schulen fast aller Arten sind direkt im Ort vorhanden.

Mit Blick auf den Verkehr und seine Ausrichtung auf das Auto, bringt die Zentrumsrolle auch Herausforderungen mit sich. Öffentliche Parkplätze und Parkplätze die den Supermärkten durch Bauvorschriften vorgeschrieben sind, summieren sich auf fast 2000. [3] Parkraum entlang von Straßen ist hier zum größten Teil noch nicht mitgezählt. In schmalen Straßen in denen auch Menschen wohnen und leben, wie der Rote-kreuz-Straße oder der Bonifatiusstraße summiert sich der Verkehr auf tausende Fahrzeuge am Tag. In der unteren Kissinger Straße, die nur in Ost-West-Richtung befahren werden darf sind es nach neusten Zählungen sogar mehr als 4000 Fahrzeuge am Tag.

Die politische Ausgangslage

Rein objektiv ist Hammelburg eine sehr autofreundliche Stadt. Es gibt sehr viele innenstadtnahe Parkplätze, viele davon kostenlos. Das 10 minütige kostenlose Halten wird selbst im Halteverbot toleriert und aktiv beworben. [4]. Es gibt keine Bereiche in denen die Einfahrt mit dem Auto grundsätzlich nicht gestattet ist (Fußgängerzone oder ähnliches). An fast allen Straßen, auch im Innenstadtbereich sind Parkplätze vorhanden. Es gibt nur wenige Einbahnstraßen. Wir haben eine gut ausgebaute Umgehungsstraße mit drei Ausfahrten von denen sich alle Teile der Stadt in wenigen Minuten erreichen lassen.

In der Nachkriegszeit sind mir nur zwei Maßnahmen bekannt, in denen Fläche für den ruhenden Autoverkehr zu Gunsten anderer Nutzunmöglichkeiten aufgegeben wurden. Das ist der Marktplatz in Hammelburg, der früher auch ein Parkplatz war und später der Umbau des Viehmarkts, bei dem einige Parkplätze gestrichen und nur 30 Parkplätze am Rande des Platzes in den umliegenden Straßen erhalten wurden.

Auch wenn mir persönlich die Gestaltung des Viehmarkts zu steril ist, kann ich als Anlieger beobachten, dass er, jetzt da er nicht mehr exklusiv dem stehenden Verkehr gewidmet ist, viele Funktionen erfüllt: Es gibt mittlerweile Außengastronomie, im Sommer spielen Abends Kinder. Familien halten sich dort auf. Nicht wenige verbringen ihre Mittagspause dort. Gäbe es mehr Schatten und bessere Sitzmöglichkeiten, wären es sicher noch mehr.

In den letzten 30 Jahren gab es viele Debatten darüber, ob die Belastung durch den starken Autoverkehr in der Kernstadt irgendwie abgemildert werden könnte. Manchmal wurden auch kurze Experimente ausprobiert. Es gab Einbahnstraßenregelungen, verkehrsberuhigte Bereiche, und Aufklärungsvideos. Außer eine Fußgängerzone wurde irgendwo schon mal fast jede Maßnahme aus dem Verkehrspolitischen Werkzeugkasten mal ausprobiert.

Den vorhandenen Verkehrsraum fair aufteilen

Der Radverkehr nimmt in Deutschland zu [5]. Die Menge an zurückgelegten Kilometern mit dem Rad ist vom Jahr 2002 bis zum Jahr 2017 um 37% gestiegen. Auch wenn die Studie die Zunahme vor allem in urbanen Regionen verorten und ich keine Zahlen für den Landkreis finden konnte, ist die Zunahme zumindest subjektiv auch bei uns wahrnehmbar. Interessant finde ich übrigens, dass unsere ländliche Region im Vergleich zum ebenfalls hügeligen und ländlichen Südbayern, auch abseits von München, in der Nutzung des Rads als Verkehrsmittel im Alltag so stark abfällt [nochmal 5].

Mit der Zunahme des Verkehrs häufen sich auch die Unfälle im Radverkehr im ganzen Landkreis. Benedikt Borst hat das für die Saale-Zeitung ausführlich recherchiert. [6] Das wichtige Ursache geben auch Vertreter der Polizei die mangelnde Infrastruktur an und verweisen auf die politische Aufgabe „den vorhandenen Verkehrsraum zwischen Autos, Radfahrern und Fußgängern aufzuteilen

Hierin besteht für mich der entscheidende Punkt in der aktuellen politischen Debatte. Die Kissinger Straße ist ein Unfallschwerpunkt. Es besteht, auch wie der Bürgermeister ausführlich dargelegt hat, schon aus verkehrsrechtlicher und Haftungsrechtlicher Sicht dringender Handlungsbedarf. Mir ist keine Aussage einer Stadträtin oder eines Stadtrats bekannt, die nicht grundsätzlich hinter dem Schutz schwacher Verkehrsteilnehmerinnen und Verkehrsteilnehmer im Allgemeinen und der Fahrradfreundlichkeit der Stadt im speziellen stehen würde.

Dort, wo es aber konkret um die Verteilung von Verkehrsfläche geht, gibt es große Differenzen bei der Schwerpunktsetzung. Im Abschnitt „Politische Ausgangslage“ habe ich ausführlich geschildert, dass der Autoverkehr in Hammelburg fast keine Einschränkungen kennt. Maßnahmen für eine Fahrradfreundlichkeit der Stadt finde ich aber nur dort, wo keine Konfliktsituationen mit dem Autoverkehr entstehen – entlang von Ortsverbindung, Kreis und Bundestraßen. Innerhalb der bebauten Fläche der Kernstadt (und der Ortsteile) gibt es so gut wie keine Flächen die exklusiv dem Radverkehr gewidmet sind (im Gegensatz zu vielen Hektar die dem stehenden Autoverkehr vorbehalten sind) und fast keine exklusiven Flächen für fußläufigen Verkehr. Viele bestehende Gehwege entsprechen nicht den gängigen Baunormen aus der RAST06 [7].

Über die Frage ob Fahrrad- und Fußverkehrfreundlichkeit zumindest punktuell auch zu Lasten des Autos und der Parkplatzversorgung gehen darf, nehme ich leider keinen einvernehmlichen politischen Konsens war. Die Ergebnisse der Verkehrspolitik der der 30 Jahre in Hammelburg unterstrichen leider meine Einschätzung.

In der Debatte wird darauf verweisen, dass Fahrräder ja problemlos 150 Meter geschoben werden können. Das ist richtig. Es wird betont, dass auswärtige, ältere Menschen auf nahe Parkplätze angewiesen sind, um ohne größere Hürden in den Geschäften der Kissinger Straße einzukaufen. Auch das ist richtig. Richtig ist aber auch, dass es Menschen ohne Auto gibt, zum Beispiel weil sie im Alter ihren Führerschein abgegeben haben, die eine bequeme Möglichkeit brauchen mit dem Rad, zu Fuß oder mit dem Rollator durch die Kissinger Straße zu kommen und für die geschobene E-Bikes auf den schmalen Gehwegen und 4000 Fahrzeuge auf der Straße zusätzliche Hürden bedeuten.

Von Seiten der Stadt wird als Alternative zur Kissinger Straße auch angeführt [11], durch die anliegenden Gassen zu fahren. Über die Verkehrssicherheit dort wird aber nur am Rande gesprochen. Ich halte diese für zu unübersichtlich und zu eng. Die Enge erzwingt, dass zu nah an parkenden Autos vorbeigefahren werden muss, obwohl sog. Dooring-Unfälle bei denen Fahrräder mit geöffneten Autotüren kollidieren für viele Unfälle mit Personenschaden verantwortlich sind. [8]

Eine kleine Anmerkung von mir, weil es über eine Formulierung von mir aus der Vergangenheit Irritationen gab: Ja, Verkehrs- und Haftungsrecht sind für mich formale Fragen. Trotz Einfahrtverbot in die Kissinger Straße hat sich dort letzte Woche ein Unfall mit Personenschaden ereignet. Die aktuelle Maßnahme hat also formal die Situation der Stadt verbessert, die Verkehrssituation zumindest in dem konkreten Fall nicht ausreichend entschärft. Da ich überzeugt bin, dass die Fahrt durch die Gassen mindestens genauso gefährlich ist und geschobene Räder auf den schmalen Gehwegen neue Gefahrensituationen schaffen, bring die aktuelle Lösung keine Verbesserung mit Blick auf die Verkehrssicherheit. Formalitäten müssen nicht unwichtig sein. Das habe ich aber auch nie behauptet. Meine These ist, dass es an den angesprochenen Formalien nicht scheitern müsste, die Gegenläufigkeit für den Radverkehr beizubehalten. Dazu aber gleich mehr.

Was tun?

Die Lösung kurzfristig die Kissinger Straße für den Radverkehr in West-Ostrichtung sperren ist meiner Meinung nach nicht alternativlos. Der Verkehrsplaner Link hatte ja sogar die vollständige Sperrung der Kissinger Straße für den vom Kreisel einfahrenden Autoverkehr vorgeschlagen [9]. Eine Maßnahme die genauso schnell hätte umgesetzt werden können wie die Sperrung für Fahrräder in die Gegenrichtung. Persönlich bin ich gar nicht der Meinung dass eine Vollsperrung notwendig wäre. Ich bin aber der Meinung, dass es nicht seriös ist, eine Maßnahme dann als alternativlos zu bezeichnen, wenn die Alternativen an Mehrheiten oder dem politischen Willen scheitern.

Auch deutlich weniger weiterreichende Anpassungen wären denkbar. Aus Sicht der Verordnungen zum Straßenverkehrsrecht [10] ist die reguläre Breite der Straße mehr als ausreichend. Im §220 VwV-StVO werden bei stärkerem Verkehr mit Lastwagen oder Linienverkehr 3,50 Meter als Mindestbreite genannt, einzelne Engstellen sind laut Verordnung akzeptabel. Die Straße ist mehr als 5 Meter breit. Maßnahmen wie ein absolutes Halteverbot zwischen den ausgewiesenen Parkplätzen, eine Reduzierung der Parkplätze und eine bessere Beschilderungen die auf den Gegenverkehr hinweist, hätten ausreichen können. Das wurde mir und Anderen auch durch Juristinnen und Juristen bestätigt. Daraus folgt nicht, dass das zwingend die bessere Lösung wäre, aber mit dem Argument es gäbt keine Alternativen wird der Zustand von dem alle sagen er wäre nicht wünschenswert jetzt für mindestens Monate festgeschrieben. Ich finde das schade.
 

Bei Haftungsfragen kann ich mir keine Richterin oder keinen Richter vorstellen, der nicht auch die Alternativen in die Abwägung mit einbezieht. Es verläuft eben kein gut ausgebauter Radweg neben der Kissinger Straße. Nur enge Gassen ohne Gehwege und mit großem Gefahrenpotential.

Es soll jetzt ein neues Verkehrsgutachten geben. Einem einzelnen Stadtrat war es besonders wichtig darauf hinzuweisen, dass sich der Stadtrat später diesem Gutachten unterordnet. Das halte ich für eine zwar vermutlich gut gemeinte, aber für die falsche Herangehensweise.

Der Stadtrat ist durch Wahlen demokratisch legitimiert. Am Ende ist Verkehrspolitik meistens eine Verteilungsfrage, bei der es kein Richtig und Falsch aus fachlicher oder wissenschaftlicher Sicht gibt. Eine verkehrsrechtliche und stadtplanerische Beratung durch Expertinnen und Experten ist wichtig, kann aber nicht an Stelle der politischen Einordnung dieses Expertenwissens zur alleinigen Entscheidungsfindung herangezogen werden. Im Zweifel gibt es noch Instrumente wie Ratsbegehren oder Bürgerentscheide.

Im Laufe der Debatte bin ich dem VCD beigetreten, weil ich mir Unterstützung dabei erhoffe Mobilität auch im ländlichen Raum ohne Zwang zum eigenen Auto bereitzustellen und Menschen zu finden die mit mir für einen Bewusstseinswandel bei all denen werben, die das selbst noch nicht nicht wollen. Das ist ein Wunsch der aus meinem persönlichen Wertesystem heraus entsteht und eine strategische gesellschaftliche Entscheidung. Das kann kein Gutachten abbilden.

Das Vorgehen Fachleuten und Gutachten eine zentrale Rolle bei der Entscheidungsfindung zuzuweisen, bringt auch ganz praktische Probleme mit sich. Der Bürgermeister hat bei der Stadtratssitzung Stellungnahmen der Polizei zur verkehrsrechtlichen Einordnung vorgelesen. Leider ist es in diesem Verfahren nicht möglich diese Einordnung in einem Dialog zu präzisieren. Wie viele Parkplätze müssten aus Sicht der Polizei wegfallen, damit die Gegenläufigkeit nach ihrer Sicht formal möglich wäre? Wie bewertet die Polizei die Verkehrssicherheit in den Gassen bei zu erwartendem höherem Radverkehr? Wäre vielleicht eine höhere Bordsteinkante nicht sogar eine bessere Lösung aus sachlicher und rechtlicher Sicht?

Fazit

Auf den Fahrraddemos haben viele Hammelburger aktiv gezeigt, dass Ihnen wichtig ist Fahrradfreundlichkeit nicht als abstraktes Ziel, sondern sich in Form konkreter Verbesserungen widerspiegelt. Gestützt wird diese Ansicht unter anderem vom nationalen Radverkehrsplan [12]. Wir werden auch als Mittelzentrum nicht darum herumkommen unseren Verkehr weg vom Auto zu denken. Dazu werden auch Parkflächen wegfallen müssen. Alleine die älter werdenden Gesellschaft, in der es immer mehr Menschen geben wird, die ihren Führerschein aus Altersgründen abgegeben haben, braucht diese Angebote. Ein guter öffentlicher Nahverkehr und fahrradfreundliche Städte die gleichzeitig die schwächsten Verkehrsteilnehmerinnen und Verkehrsteilnehmer ins Zentrum der Verkehrspolitik bringen sind der Weg den ich gerne für unsere Region einschlagen würde.
 

[1] https://www.infranken.de/lk/bad-kissingen/kreis-bad-kissingen-mehr-autos-auf-der-strasse-art-5154338

[2] https://www.hammelburg.de/fileadmin/Tourismus_Hammelburg/Hammelburg_entdecken_und_erleben/Schnell_informiert/Unsere_Medien_fuer_Sie/Buergerbroschuere_Hammelburg_2026.pdf

[3] https://www.parkopedia.de/parken/hammelburg/

[4] https://www.hammelburg.de/fileadmin/Tourismus_Hammelburg/Hammelburg_entdecken_und_erleben/Schnell_informiert/Unsere_Medien_fuer_Sie/Parkplatzplan_-_Endfassung.pdf

[5] https://repository.difu.de/jspui/bitstream/difu/256861/1/DS2019.pdf

[6]https://www.infranken.de/lk/bad-kissingen/kreis-bad-kissingen-jeder-fuenfte-verletzte-im-verkehr-ist-ein-radfahrer-art-5181572

[7]https://docplayer.org/10005154-Nur-fuer-studienzwecke-richtlinien-fuer-die-anlage-von-stadtstrassen-rast-06.html

[8] https://rp-online.de/nrw/panorama/dooring-in-nrw-kampagnen-machen-auf-unfall-problem-aufmerksam_aid-57309889

[9] https://www.mainpost.de/regional/bad-kissingen/hammelburg-konflikt-zum-verkehrskonzept-ist-programmiert-art-10268187

[10] http://www.verwaltungsvorschriften-im-internet.de/bsvwvbund_26012001_S3236420014.htm

[11] https://www.hammelburg.de/communice-news/news/artikel/baustellen-139

[12] https://www.bmvi.de/SharedDocs/DE/Artikel/StV/Radverkehr/nationaler-radverkehrsplan-3-0.html

 

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