Eine Politik des Zuhörens und Erklärens, oder wie funktioniert politische Willensbildung in der Kommunalpolitik

Oft lese oder höre ich vor den Kommunalwahlen Botschaften von Kandidatinnen und Kandidaten, die eine gewisse Distanz zur Politik vermitteln. Beliebt ist es, sach- oder lösungsorientiertes Arbeiten zu versprechen, oder die „Parteipolitik“ aus kommunalen Fragen herauszuhalten.

Beides halte ich, gerade auf kommunaler Ebene, für gefährlich missverständliche Phrasen.

Ich fange mal mit der Sachorientierung an. Gepaart wird die in Aussicht gestellt Sachlichkeit oft und gerne auch mit dem Versprechen keine emotionale Politik zu machen. Was heißt das denn in der Kommunalpolitik?
Das Wahlprogramm der Grünen für den Kreistag Bad Kissingen beginnen wir mit dem Satz „Nirgends ist die Politik den Menschen näher als auf der kommunalen Ebene.“ Das ließt sich wie eine sehr banale Feststellung. Dabei ist es aber etwas sehr entscheidendes. Auf kommunaler Ebene geht es um die Fragen, wie unser direktes Lebensumfeld gestaltet werden soll. „Durch welche Straße sollen die Autos fahren? Wie breit muss ein Gehsteig sein? Wie soll das Bürgerhaus aussehen? Wie soll der Neubau unserer Schule gestaltet werden? Da jeder Mensch etwas anderes schön findet, von etwas anderem gestört wird, andere Prioritäten hat, andere Ziele und Wünsche lassen sich diese Fragen gar nicht sach- und noch weniger lösungsorientiert angehen. Die Folge wäre nämlich eine Entmenschlichung der Politik und das Verstecken hinter Förderrichtlinien, Grenzwerten und Baunormen.
Natürlich muss das alles in Abwägungen mit einfließen. Aber die Kernfrage, nämlich wie wir uns ein gutes, erfülltes Leben in unseren Städten, Gemeinden und dem Landkreis vorstellen, lässt sich damit nicht beantworten. Die Probleme hinter den Fragen lassen sich nicht lösen. Es ist die Daueraufgabe für die eigenen Ziele zu werben, Kompromisse zu finden und Toleranz dafür zu schaffen, dass nicht alle Wünsche miteinander kompatibel sind.

Vermutlich sind die Phrasen gar nicht so gemeint, eher in dem Sinn, dass für die „Sache“ und nicht die eigene Partei oder Liste gearbeitet werden soll und dass auf „Lösungen“ hingearbeitet werden soll und nicht auf die eigene Profilierung.
Diese Deutung erscheint erst mal völlig unverfänglich. Im Kern ist sie das Versprechen die kommunale Arbeit in den Dienst der Allgemeinheit zu stellen. Von der Arbeit an den „Sachen“ und „Lösungen“ sollen ja alle profitieren.
Darin versteckt sich aber ein Konflikt, der sich in der Praxis schwer auflösen lässt. Gerade dort wo es um das eigene Lebensumfeld geht, wollen nicht immer alle die gleiche Lösung für eine „Sache“. Einige wollen beispielsweise eine Umgehungsstraße, andere nicht. Einige wollen ein neues Bürgerhaus, andere nicht, oder nicht so wie es geplant ist. Entscheidungen für diese Fragen zu treffen und Lösungen zu finden ist nur ein Teil der Arbeit. Der schwierigere Teil ist es, die Entscheidungen zu erklären, die Menschen mit einzubinden, für die die gewählten Lösungen Nachteile bedeuten oder die sie zumindest als nachteilig empfinden.
Als schwierig stellt es sich auch immer heraus, die Menschen schon vor den Entscheidungen mit einzubinden. Niemand kann ja die Wünsche aller Wähler*innen für alle Sachfragen in einer sechsjährigen Wahlperiode kennen. Ziele und Wünsche sind ja nichts statisches. Sie können sich in einem Meinungsbildungsprozess ändern.
In solchen Meinungsbildungsprozessen liegt es aber im Auge des Betrachters, was ehrliche Willensbildung ist und was Profilierung. Es ist eine kaum lösbare Aufgabe, engagiert und öffentlich für die Lösung einer Sachfrage zu werben und gleichzeitig auch von denen, die eine andere Lösung wünschen, als sachlich wahrgenommen zu werden.
Wenn die Folge dieses Dilemmas darin besteht, dass die Willensbildung in interfraktionelle Gespräche oder Vereinbarungen zwischen Stadt- und Kreis oder Kreis und Land verlagert wird und die Öffentlichkeit nur bei der Verkündung der Lösung eingebunden wird, ist das aus meiner Sicht der falsche Weg.

Politik im Allgemeinen und speziell Parteien genießen nicht den besten Ruf. Der Wunsch sich im Kommunalen davon abzugrenzen ist naheliegend. Vor einigen Monaten habe ich einen relativ viel beachteten Post bei Facebook geschrieben, indem ich meinen Ärger über einen abfälligen und in meinen Augen unreflektierten und viel zu allgemeinen Beitrag über die Arbeit von Politiker*innen ausgelassen habe. Wer will kann dort nachlesen, warum ich es an sich schon ungerechtfertigt finde.

Parteipolitik ist, vor allem auf kommunaler Ebene, ein Wort das völlig zu unrecht für viele einen negativen Klang hat. Auf Ebenen, in denen hoch dotierte Mandate und Jobs zu vergeben sind möchte ich nicht grundsätzlich sagen, dass die Strukturen die bei uns durch Parteien existieren, immer geeignet sind, gut nachvollziehbare Entscheidungen herbeizuführen. Andreas Scheuer wäre ohne die für mich nicht erklärbare Hackordnungen in der CSU sonst Anfang 2020 sicher kein Minister mehr oder wäre es nie geworden. Aber für die paar Euro Aufwandsentschädigung im Kreistag oder Stadtrat wird sich das niemand antun. Parteipolitik bedeutet auf kommunaler Ebene in erster Linie Meinungsfindung und Debatte, oder sollte es zumindest. Jedes kommunale Mandat wird ja auch mit den Stimmen derer auf der Liste errungen, die am Ende nicht den Sprung in das Gremium schaffen. Ein Austausch mit denen Kandidati*innen, deren persönliche Stimmen die Mandatsträter*innen legitimieren, ergibt sich damit schon aus unserem Wahlsystem.

Wünschenswert wäre es tatsächlich, wenn Debatten und Meinungsbildung aus den Kreisen der Parteien und Listen herausgelöst werden könnte. Es gibt aus meiner Sicht im Landkreis zu wenig Formate für öffentliche politische Debatten. In Hammelburg organisiert der politische Arbeitskreis der Europaunion solche Diskussionsabende. Danach wird es schon schnell dünn. Vielleicht bekommen wir ja in Hammelburg oder sogar auf Kreisebene in der nächsten Wahlperiode einen „interfraktionellen“ politischen Kneipenabend oder Kaffeeklatsch hin. Ich bin fest davon überzeugt, dass es bei uns eher zu wenig Raum für Debatten gibt als zu viel.

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